Walter Soesmann

Eine jüdische Lebensgeschichte aus Augustdorf

Walter Soesmann

Walter Soesmann, 2020
© Klaus Mai und Angelika Böger-Mai

Der ehemalige Leiter der Hauptschule Augustdorf, Klaus Mai, und seine Frau Angelika Böger-Mai haben mit Hilfe von Interviews die Lebensgeschichte von Walter Soesmann aus Augustdorf aufgezeichnet. Dieses biografische Portrait erschien in der Zeitschrift "Der Augustdorfer", Ausgabe 04/2020. Mit freundlicher Genehmigung der Autoren und von Walter Soesmann persönlich dürfen wir diesen lebendigen Text über ein ungewöhnliches Leben hier veröffentlichen:

Walter Soesmann

Mit der Geburt am Heiligen Abend ist nicht unbedingt verbunden, dass ein Leben glatt und ohne Probleme verläuft. Das kennen wir, und das war auch bei Walter Soesmann so, als er am 24. Dezember 1939 im Mütterhaus in Detmold das Licht der Welt erblickte, obwohl dieser Heilige Abend ein strahlend heller Tag gewesen sein soll.

Die Probleme fingen schon damit an, dass seine Eltern nicht dem entsprachen, was die Nazis in ihrem Rassenwahn für zulässig hielten. Der Vater war Jude.

Walters Eltern und Großeltern hatten lange Jahre mitten in der Senne in Haustenbeck gelebt, zusammen mit den anderen Bürgern und wie diese auf einer bescheidenen Existenzgrundlage, so, wie der Senneboden es erlaubte.

Sein Vater Kurt hatte in Schwalenberg eine Lehre zum Textilkaufmann absolviert und danach in Stadtoldendorf in diesem Beruf gearbeitet. Hier lernte er seine spätere Frau Hildegard kennen. Am 10. Februar 1933 heirateten sie in der Kirche von Haustenbeck und betrieben von da an einen Kramladen auf der Stätte Nr. 87 in Haustenbeck. Im selben Jahr wurde ihr erstes Kind Brigitta geboren.

Die Lebensbedingungen im Sennedorf waren wesentlich schwieriger als die in der Heimat der jungen Ehefrau und Mutter. Dort gab es für deren Eltern große gesellschaftliche Probleme, angezettelt durch die neuen lokalen politischen Machthaber. Kurt Soesmanns Schwiegereltern wurden geschmäht, weil sie es zugelassen hatten, dass ihre Tochter diese „Rassenschande“ begangen hatte. Der Vater wurde von seinem Posten bei der Feuerwehr verstoßen und aus anderen Ämtern in der Öffentlichkeit entfernt.

In Haustenbeck baute sich Kurt Soesmann ein bescheidenes Textil-Manufaktur-Geschäft auf, ergänzend zum Kramladen. Er transportierte einen Riesenkoffer mit Textilproben auf dem Fahrrad durch den Ort und in die umliegenden Dörfer. Es handelte sich um Stoffe jeder Art, aus denen sich die Menschen zu dieser Zeit Kleidung für jeden Anlass selbst herstellten oder schneidern ließen. Dabei spielte die Beratung durch den Verkäufer eine bedeutende Rolle. Es musste auf jeden Fall vermieden werden, dass der gleiche Stoff an zwei Nachbarinnen verkauft wurde. Das gab damals wie heute Ärger.

Wenn es nur das gewesen wäre. Die Nazis ließen der jungen Familie keine Ruhe. Der Jude Kurt Soesmann durfte bald kein selbstständiges Geschäft mehr betreiben. Sie mussten den Kramladen und sein Reisegeschäft mit dem Stoffprobenkoffer aufgeben. Die Gefahr, dass der Jude Soesmann dabei zu große Reichtümer anhäufen konnte, wollten die Nazis nicht eingehen. Nur untergeordnete Tätigkeiten durften von ihm ausgeführt werden.

Eine solche fand sich beim Bau der Haustenbecker Straße, die Firma Pape war dafür zuständig. Katzenköpfe aus Blaubasalt wurden mit der Bahn angeliefert und mit Pferdewagen zur Baustelle gebracht. Hier musste der Vater von Walter Soesmann Handlangerdienste leisten. Diese Straße diente unter anderem der Erschließung und damit auch der Erweiterung des Truppenübungsplatzes Senne. Der Ort Haustenbeck stand dieser Entwicklung immer mehr im Wege.

Noch grausamer war die weitere Fanatisierung der Nazis und ihrer Mitläufer. Nach der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden Walters Vater und einige Familienmitglieder in Konzentrationslager verschleppt. Zum Glück kamen sie nach kurzer Zeit wieder frei, und Kurt Soesmann konnte seine Arbeit an der Haustenbecker Straße fortsetzen.

Das war völlig anders als geplant. Die Großeltern Max und Frieda mit Onkel Erich zogen nach diesen traumatischen Erlebnissen die Konsequenzen. Mit einigen landwirtschaftlichen Geräten in einer vom Tischler Pankoke aus Stukenbrock gebauten Überseekiste wanderten sie nach Argentinien aus. Walters Eltern hatten den gleichen Plan. Doch aus Rücksicht auf die bevorstehende Geburt von Walter blieben sie in der Senne. Walter hat große Hochachtung vor seinem Vater für dessen Verbleib bei der Familie, denn eigentlich war nur er durch die Nazis bedroht.

Ein Teil der Straßenarbeiter und die Bauleitung waren im Heimathof der Anstalt Bethel untergebracht. Der Hausvater Blauth leitete diese Außenstelle der von Bodelschwinghschen Anstalten sehr souverän und kompetent. Hier waren bis zu 500 Menschen, zum Teil mit geistigen oder körperlichen Einschränkungen, in Arbeit. Der Heimathof lieferte enorme Mengen an Lebensmitteln in die Umgebung, vom Salatblatt bis zum Korn und dem Kotelett. Der Heimathof war zu der Zeit eine systemrelevante Einrichtung.

Mit Beginn des Krieges wurden aber von hier wehrfähige Männer zum Wehrdienst eingezogen. Die fehlten dem Heimathof bei der Erfüllung seiner Aufgaben zur "Ernährung des deutschen Volkes“. Eine so entstandene „Lücke“ füllte der Hausvater Blauth mit der Abwerbung von Walter Soesmanns Vater Kurt vom Straßenbau.

Inzwischen wurden die Siedlungen in Haustenbeck nach und nach für die Erweiterung des Truppenübungsplatzes geräumt. Zunächst gab es großzügige Entschädigungen und Landangebote in Augustdorf und andernorts in Deutschland, zum Beispiel in Blumenberg in der Nähe von Wanzleben. Soesmanns bekamen mit der Vermittlung durch die Heimathofleitung eine kleine Stätte auf Augustdorfer Gebiet, Nr. 237 an der Haustenbecker Straße. Dies war günstig für seinen neuen Arbeitsplatz auf dem Heimathof: Er war aufgestiegen zum Leiter der Zucht- und Mastabteilung für immerhin 500 Schweine. Dieser Arbeit kam Vater Kurt sehr erfolgreich nach. Er war somit ein wichtiger Mitarbeiter im Heimathof für dessen Aufgabe in Kriegszeiten.

Allerdings spielte das keine Rolle bei der Verbohrtheit der Nazis in ihren Rassenwahn. Kurt Soesmann wurde wieder ins KZ nach Buchenwald verschleppt. Dieses Mal sorgten seine „arische“ Frau und der Hausvater Blauth für Abhilfe. Sie erklärten vor den Toren des Konzentrationslagers, dass sie diesen Ort ohne Kurt Soesmann nicht verlassen würden. Dabei spielten die „Unersetzbarkeit“ und die Funktion für die „Volksversorgung in der Kriegszeit“ die entscheidende Rolle.

Der Großbetrieb Heimathof war vorläufig ein geschützter Raum für die junge Familie mit dem 1939 geborenen Walter und dessen älterer Schwester Brigitta. Bis kurz vor dem endgültigen Ende der Nazidiktatur.

Die letzte Welle von Hass im Februar/März 1945 führte dazu, auch Juden in sogenannten Mischehen mit Kindern, die bisher vor der Deportation in die Vernichtungslager geschützt waren, aufzutreiben und nach Theresienstadt zu verschleppen. Da erschienen auf dem Heimathof Hermann Wißbrock und Hermann Böger, der Wirt des Heidekrugs. Sie warnten Kurt Soesmann und sorgten damit für sein Überleben. Bei Nacht und Nebel gelang ihm die Flucht durch die „Lange Grund“ zu Brummelten Jupp in Stukenbrock-Senne. Auch vorher schon hatte Hermann Wißbrock den Kurt Soesmann immer mal wieder für eine Zeit in seinem Keller versteckt, wenn eine Festnahme drohte.

Jetzt ist die Gelegenheit, endlich auf die Geburt des Walter Soesmann zurückzukommen. Für die Geburtshilfe zuständig war die Rot-Kreuz-Gemeindepflegestation in Augustdorf. Hier waren die Diakonissen 1938 durch Schwestern der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt ersetzt worden. Diese lehnten die Geburtshilfe für ihn, ein Judenkind, ab, erzählt Walter Soesmann. Seine Mutter sollte sich selbst darum kümmern, wie und wo sie das Kind zur Welt bringt. Der Vater brachte dann seine Frau auf dem Motorrad in das Mütterhaus nach Detmold. Dort erklärte eine Hebamme, sie kümmere sich um Mutter und Kind, damit ihnen nichts passiere.

Walter Soesmann wurde am 10. April 1940 von Pfarrer Heinrich Schmitz in der Augustdorfer Kirche getauft. Aber auch die Taufe eines Judenkindes war nicht ganz einfach. „Einer der Paten von außerhalb Lippes war an seinem Wohnort ein stadtbekannter Nazi. „Der hat eine Menge riskiert, weil er sich für meine religiöse Erziehung verbürgt hat“, erzählt Walter Soesmann.

In ihrem Haus an der Haustenbecker Straße hatten die Soesmanns einen engen Bezug zum Heimathof, aber auch zu anderen Augustdorfern, zum Beispiel zur Familie Reinkensmeier, die in dem auffälligen Haus mit der Jahreszahl 1937 auf dem Dach lebte.

Spielkameraden hatte Walter genug, auch hinter dem Pollmannskrug, von Augustdorf aus gesehen. Beiderseits der Straße gab es tiefe Einschnitte im Gelände, entstanden durch riesige Wassermengen, die früher vom Teutoburger Wald bis hierher in die Senne abgeflossen sind. Unter der Straße waren sie durch Rohre miteinander verbunden, die so groß waren, dass ein kleiner Junge hindurchpasste.

Außer diesen Mutproben gab es natürlich noch jede Menge anderer Gelegenheiten, sich in der Senne in Gefahr zu bringen, zum Beispiel mit dem Sammeln von Altmetall auf dem Truppenübungsplatz. Alte Messinghülsen von verschossener Munition brachten zur Zeit des Koreakrieges mehr als nur ein Taschengeld. Aus dem abenteuerlichen Reiz wurden manchmal schlimme Verletzungen. Gusti Repasky verlor mehrere Finger beim leichtsinnigen Umgang mit einem scheinbar ungefährlichen Rest. Beim Sechser-Kunstradfahren beim Verein „Schwalbe Augustdorf“ hatte er trotzdem sein Rad gut im Griff.

Für Walter bleibt das Angebot auf dem Heimathof in sehr angenehmer Erinnerung. Es gab Theaterspiele auf der Bühne im großen Haus, und er war einmal Hirte mit dem großen Hut des Vaters auf dem Kopf, das vergisst er nicht. Und die vielen Ställe und Gewächshäuser auf dem großen Gelände waren für die Kinder an Spielmöglichkeiten und Abwechslung kaum zu überbieten.

Dazu kamen viele deportierte Menschen aus dem Stammlager in Schloß Holte-Stukenbrock, die hierhin zu Arbeitseinsätzen abgeordnet waren. Da sie im Heimathof gut behandelt und ernährt worden waren, waren sie nach dem Krieg wichtige Fürsprecher, sowohl bei den zunächst amerikanischen Besatzern als auch bei den freigekommenen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen, die plündernd durch das Land zogen. Daher gab es auf dem Heimathof keine Übergriffe.

Für Walter und seine Eltern war mit dem Kriegsende die Gewissheit entstanden, dass die Räumung von Haustenbeck jetzt ein Ende haben könnte.

So wie sie dachten noch andere ehemalige Haustenbecker. Sie packten alles zusammen, was transportabel war, und zogen wieder zurück in ihre Häuser in Haustenbeck. Dort wurden es für die Familie Soesmann nur zwei Nächte, aber es waren fürchterliche Nächte. Es stürmte und regnete. Alles am Haus klapperte, und der Wind pfiff durch die Fenster. Es gab kein Licht und kein Wasser. Walters Mutter erzählte immer mal wieder, wie sie den kurzen Aufenthalt beendet hatte: „Nein, hier bleibe ich nicht, und wenn ich allein zu Fuß mit den Koffern nach Augustdorf zurück muss!“ Dazu kam noch, dass die Platzverwaltung dem Traum aller Rückkehrer ein Ende machte. Und so brachte sie Brummelten Jupp aus Stukenbrock-Senne mit dem Leiterwagen wieder zurück nach Augustdorf Nr. 237, 2 km hinter dem Pollmannskrug.

1946 ging Walter Soesmann von hier aus in die Schule auf dem Unterdorf von Augustdorf. Er ist davon überzeugt, dass er ein fürchterlicher Rabauke war. Und wie immer gab es genügend andere Jungen, die ihn nicht von Übeltaten abhielten, sondern mitmachten. Sie waren eine große Gruppe, die den Lehrern und vielen Nachbarn mit ihren Streichen das Leben schwer machte. Die Nachbarn beklagten sich nicht bei den Eltern, sondern gingen immer zu den Lehrern. Seine ältere Schwester war wenig solidarisch mit dem Bruder. Alles, was in der Schule passierte, hinterbrachte sie den Eltern. Die Folgen waren allerdings selten schlimm. Der Vater ermahnte den Sohn, seine „Untaten“ wenigstens so durchzuführen, dass sie nicht erwischt bzw. erkannt wurden.

Unter den Lehrern an der Schule hat Walter keinen in besonders angenehmer Erinnerung. Kampmeier, Würfel, Fritz Herbst, Rabe, Frau Schellhaas, nicht einmal den gewöhnlich sehr freundlichen Hans Schulz. Das könnte durchaus auch an ihm selbst gelegen haben.

Wie eng Schule und Bürger damals miteinander verbunden waren, zeigt eine nicht unübliche Abmachung. Die Lehrer hatten hinter der Schule Gartenland, durch das sie ihren nicht gerade üppigen Lohn aufbessern konnten. Dazu bekamen sie Mist von den Bauern. Soesmanns hatten davon genug. Walter musste die bereitgestellte Fuhre beladen. Aus welchem Grund auch immer: In der unteren Hälfte des Wagens lag nur Stroh, das von dem Mist oben drauf verdeckt war. In weiser Voraussicht war er am nächsten Tag krank und nicht in der Schule.

Nach der Volksschule besuchte er die Handelsschule in Detmold. Dort traf er nur auf „gleichgesinnte“ Mitschüler. Viel Zeit verbrachten sie im Wartesaal der Klasse 2 im Bahnhof. Beim Kellner „Onkel Willi“ bestellte man eine Fleischbrühe für 20 Pfennige. Dann konnte man stundenlang in der besseren Hälfte des Wartesaals sitzen, Karten spielen und auf andere Weise die Zeit verbringen, ehe man mit dem Bus den Weg nach Augustdorf antrat.

Die Busfahrten waren zu der Zeit recht abenteuerlich. Manche Jugendliche hatten Schwierigkeiten, sich an übliche Verhaltensregeln zu halten. Dazu kam, dass die Busse fast immer stark überfüllt waren. Und natürlich reichten die Sitzplätze nicht aus.

Viele Fahrgäste stammten aus dem DP Lager, dem sogenannten Polenlager auf dem Gebiet der heutigen Kaserne. Die unterhielten sich häufig über mehrere Sitzreihen hinweg auf Polnisch, Russisch oder in anderen Sprachen, die kein anderer verstand.

Dass ein Schüler für Ältere den Platz freigab, war eine Selbstverständlichkeit, häufig wurden sie dazu aufgefordert. Eine Zeitlang gab es einen Anhänger hinter dem Bus, darin saßen oder tobten die Rabauken.

Wie in der Schule unterschiedliche Lehrer, gab es im Bus strenge und weniger strenge Schaffner und Busfahrer. Bei Gerd Pollmann durfte so mancher schon mal ab der Dörenschlucht zu Fuß nach Hause laufen. Das konnte ganz schön lang werden. Sein Bruder Arnold war da wesentlich freundlicher. Mit dem konnte man über besseres Verhalten verhandeln.

400 Mark im Jahr zahlten die Eltern Schulgeld. Trotzdem kamen von Zeit zu Zeit Klagebriefe aus der Schule wegen des Fernbleibens vom Unterricht. Die Mutter schimpfte: „Du kostest uns eine Kuh für nichts!“

Zu dem Hof an der Haustenbecker Straße gehörte einiges an Land. Hier hielten die Eltern, der Familientradition in Haustenbeck folgend, einiges an Vieh. Seit 1947 betrieben sie einen Viehhandel. Es war selbstverständlich, dass Walter auf dem Hof und in den Ställen helfen musste. Da war die Abwesenheit aus Gründen des Schulbesuchs schon besser als Ställe ausmisten.

Walter erinnert sich an eine kurze Phase sportlicher Aktivitäten in der Fußballjugend der TuSG. „Haupt-Sportgerät“ war die Schubkarre bei der Herrichtung der Spielfläche vom Heidesportplatz.

Mit 14 Jahren machte er seine ersten Versuche als Viehhändler. Er hätte ausmisten sollen, während die Eltern unterwegs waren, um Vieh zu kaufen. Dazu hatte er keine Lust, außerdem fand er diese Arbeitsteilung ungerecht. Also setzte er sich auf sein Fahrrad, fuhr nach Stukenbrock-Senne und erhandelte wie ein Großer ein Rind für 800 Mark, die er gar nicht besaß. Seine Mutter gab ihm das Geld, allerdings sehr zögerlich. Am nächsten Markttag sollten Rinder verkauft werden, auch seines, und er war dabei. Am Markt angekommen verlangte sein Vater überraschend, dass er sich mit seinem Rind entfernt vom Stand des Vaters aufstellen und es alleine verkaufen solle. Er schaffte, was keiner geglaubt hatte. Sein Gewinn war mit 20 Mark nur mäßig, aber ein Anfang war gemacht.

Zu Walters Aufgaben gehörte auch, dafür zu sorgen, dass das Vieh auf dem eigenen Weideland blieb. Jenseits der Feldgrenzen hatte die Försterei Teutoburger Wald einen großen Obstgarten als Dienstland. Walter kann sich noch gut an das sich nahende tiefe Blubbern der 250er BMW von Förster Mai erinnern. Dann wurde es höchste Zeit, die Kühe unter den Apfelbäumen wegzutreiben.

Schon mit 21 Jahren fand Walter Soesmann im „katholischen Ausland“ (Stukenbrock-Senne) mit seiner späteren Frau Lydia die Frau fürs Leben. Aber wieder gab es Probleme, die wir heute absurd finden. Die Eltern der Braut und deren Kirche stellten Bedingungen für die Zustimmung zu dieser Verbindung: katholische Trauung, katholische Erziehung der Kinder. Walter war das alles egal, er wollte diese Frau heiraten. Und sie führten über 57 Jahre eine glückliche und erfolgreiche Ehe.

Die Erweiterung des Truppenübungsplatzes führte dazu, dass auch die letzten Bewohner jenseits des Pollmannskruges ihre Stätten verlassen mussten. Soesmanns wurden 1966 ein zweites Mal in Richtung Norden vertrieben. Sie kauften den Hof von Heinrich Wiebusch an der Haustenbecker Straße.

Die berufliche Zusammenarbeit im Elternhaus gestaltete sich leider nicht sehr glücklich. Seine Mutter starb sehr früh, der Vater heiratete kurz danach wieder. Die neue Ehefrau des Vaters und Walter konnten in dem gemeinsamen Haus, in dem auch er mit seiner Frau wohnte, nicht gedeihlich nebeneinander existieren. Dies führte dazu, dass Walter aus dem gemeinsamen Viehhandel ausstieg und mit seiner Familie das Elternhaus verließ. Bei Köster Helmut gegenüber waren sie als Mieter herzlich willkommen.

Seit dem 12. April 1967 arbeitete er bei der Lippischen Hauptgenossenschaft in Lage, zunächst als LKW-Fahrer mit der Zielrichtung, den Betrieb und die Kunden kennen zu lernen. Seine guten Kenntnisse blieben nicht verborgen und die Viehhändler-Leidenschaft konnte nicht lange unterdrückt werden. So wurden ihm nach kurzer Zeit verantwortliche Funktionen in der LHG übertragen. Während deren Aktivitäten sich bisher hauptsächlich auf den lippischen Raum beschränkt hatten, wurde der jetzt durch seine Mitwirkung erheblich ausgedehnt, nach Norden bis Flensburg und im Süden bis ins Allgäu, desgleichen bis ins Elsass und später bis in die neuen Länder der ehemaligen DDR. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft hin zu Agrargroßbetrieben hat seine Arbeit aber nicht gerade leichter und erfreulicher gemacht.

Heinz-Walter Niedertopp aus dem ehemaligen Vorstand der Lippischen Hauptgenossenschaft eG erinnert sich gern an den erfolgreichen Mitarbeiter:

„Walter Soesmann: Er war ein aufrechter, korrekter Kollege, immer loyal, Viehhändler durch und durch, für ihn zählte: Ein Mann, ein Wort, der Handschlag gilt! Immer hilfsbereit und oft mit einem kleinen Spruch auf den Lippen. Kannte viele Geschichten über Land und Leute und konnte, wenn es angesagt war, auch einen Stiefel vertragen.“

2002 ging Walter Soesmann aus dieser Firma in Rente, „als Viehhändler natürlich, denn das liegt bei uns Soesmanns im Blut.“ Er ist stolz darauf, dass er noch heute mit seinen Kunden in einer freundlichen Atmosphäre reden kann. Die Geschäfte kamen also immer auch zur Zufriedenheit der Kunden zustande.

Seinen Lebensabend hatte er sich anders vorgestellt. Vor 7 Jahren hatte er einen Unfall an der Waldstraße. Er kam mit dem Fahrrad von einem Fußballspiel des FC Augustdorf. Auf der Höhe des alten Forsthauses vor der Dörenschlucht überfuhr ihn ein Auto auf dem Fahrradweg. Mit schweren Kopfverletzungen musste er bei vollem Bewusstsein miterleben, wie der Notdienst seine Kleidung zerschneiden wollte, um an seinen Oberkörper heranzukommen. Selbst in diesem Zustand zeigte sich die Soesmannsche Willensstärke. „Ihr schneidet meine neue Weste nicht kaputt!“ Und so war es. Durch diesen Unfall ist er stark in der Funktion seiner Beine eingeschränkt.

2019 starb seine Frau Lydia. Das war ein sehr großer Verlust.

Wieder ist seine große Willensstärke gefragt.

Interview, Foto und Text ©: Klaus Mai und Angelika Böger-Mai

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