Auf dem jüdischen Friedhof zu Barntrup sind, wie auf anderen Friedhöfen auch, die Gräber nach Jerusalem, nach Osten, ausgerichtet, d.h. die Vorderseite der Grabsteine weist nach Osten. Der Tote soll mit dem Gesicht in Richtung Jerusalem bis zur Auferstehung ruhen. Die Auferstehung wird in Jerusalem stattfinden, und nach jüdischer Überlieferung werden dann die Leiber der Toten unter der Erde in Gängen, die Gott ihnen machen wird, nach Jerusalem gebracht. Dieser Vorgang heißt hebräisch "Gilgul". Bis zu dieser Zeit aber ruhen die Leiber auch symbolisch in heiliger Erde, denn nach Möglichkeit gibt man den Toten ein Säckchen mit Erde aus dem Heiligen Land mit in den einfachen, für alle gleichartigen Sarg. Im Tode gibt es keine Unterschiede. Darum sind in der Regel auch die Grabsteine gleichartig und einfach. Abweichungen von dieser Sitte hat es seit dem 19. Jahrhundert in Anpassung an die Umwelt allerdings gegeben.
Der jüdische Friedhof heißt "Haus der Gräber", "Haus des Lebens", führt der Aufenthalt dort doch schließlich zu neuem Leben, auch "Ewiges Haus" (nach Prediger 12,5: "Denn bald geht der Mensch in sein ewiges Haus."). Bei Juden Mittel- und Osteuropas wird er auch "Guter Ort" genannt, was einerseits Hinweis auf den Durchgang zum Leben der künftigen Welt, andererseits sicher auch ein Euphemismus ist.
In der Bibel wird als erster Grabstein der Rahels, einer Frau Jakobs, genannt (1. Mose 35,20).
Bis zur Emanzipation und damit beginnender Assimilation der Juden im 19. Jahrhundert sind die Inschriften auf jüdischen Grabsteinen ausschließlich hebräisch. Im Zuge der wachsenden Anpassung an die christliche Umwelt werden zunächst kurze Angaben auch in deutscher Sprache zum Namen, Geburts- und Todesdatum gemacht. Allmählich wächst der Anteil der Landessprache in den Inschriften, bis im 20. Jahrhundert manchmal kaum oder nichts Hebräisches übrigbleibt. Häufig steht allerdings noch die hebräische Abkürzung für den nach 1. Samuel 25,29 gebildeten Gebetswunsch aus einem der in Erinnerung an die Verstorbenen gesprochenen Gebete: "Seine/Ihre Seele sei eingebunden in das Bündel des Lebens". Da dieser Wunsch sich auf das Fortleben der Verstorbenen bezieht, wird er in unseren Übersetzungen stets ausgeschrieben, um damit deutlich zu machen, daß auch in den Fällen, wo nächste Angehörige und Verwandte der Verstorbenen nicht mehr vorhanden sind, weil die Familie durch die nationalsozialistische Mordmaschinerie ausgerottet worden ist, das gedenkende Gebet mit dieser Veröffentlichung fortbestehen soll.
Erst am Ende des Jahres nach dem Tode wird der Grabstein gesetzt. Jeweils am Todestag wird von den nächsten männlichen Angehörigen ein Gebet gesprochen, das die Verherrlichung des Gottesnamens zum Inhalt hat. Dieser Tag wird nach einem aus dem Jiddischen stammenden Begriff "Jahrzeit" genannt. Für die Festsetzung dieses Tages wie aller religiösen Termine gilt der jüdische Mondkalender, dessen Jahr 354 Tage bei 12 Monaten mit abwechselnd 29 und 30 Tagen enthält. Weil die jüdischen Feste aber an bestimmte Jahreszeiten gebunden sind, wird zur Angleichung an das Sonnenjahr in 19 Jahren siebenmal ein 13. Monat angehängt, der nach dem Namen des 12. Monats "zweiter Adar" genannt wird. Der Beginn der jüdischen Zeitrechnung entspricht dem Jahr 3760 vor unserer Zeitrechnung. Er wurde im Altertum von jüdischen Gelehrten nach Zahlenangaben der Bibel errechnet. Der Jahresbeginn liegt im September/Oktober. Es ist der erste und zweite Tag des Monats Tischri. Jüdisches und christliches Jahr überschneiden sich also. Das macht, abgesehen von anderen Feinheiten des jüdischen Kalenders, die Umrechnung schwierig. Auf den hebräischen Inschriften ist das Jahr "nach der abgekürzten Zählung" (Abkürzung in der Übersetzung: "n.d.a.Z.") angegeben, bei der die Tausender weggelassen sind. Das jetzige jüdische Jahr (September 1990 bis September 1991) ist das Jahr 5751 nach Erschaffung der Welt, nach der abgekürzten Zählung das Jahr 751.
Wie man dem Text der Inschriften leicht entnehmen kann, gibt es eine Reihe feststehender Wendungen. Frömmigkeit und Wohltätigkeit der Verstorbenen werden gepriesen, bei Männern häufig mit Begriffen, die der Charakterisierung Ijobs (1,1: "und jener Mann war rechtschaffen und redlich, gottesfürchtig und mied das Böse"; eigene Übersetzung des Verfassers) entnommen sind. Bei der Frau stammen die Begriffe häufig aus einem Text, den der religiöse Mann zu Beginn des Sabbats am Freitagabend verliest. In ihm wird die "tüchtige Frau" (vgl. Inschrift von Grab 15) gepriesen (vgl. Sprüche 31,10ff.).
Jüdische Kinder erhalten neben ihrem bürgerlichen Vornamen einen jüdischen, religiösen, der mit dem bürgerlichen in keinem Zusammenhang stehen muß (vgl. z.B. Inschrift Grab von 3: Mordechaj hat mit Max nur den Anfangsbuchstaben gemeinsam). In Verbindung mit dem Vatersnamen ("Sohn/Tocher des...") wird dieser Name in den hebräischen Inschriften, aber auch bei allen anderen religiösen Zusammenhängen verwendet. Daß diese Sitte eine alte Tradition hat, sehen wir daran, daß z.B. der Apostel Paulus mit jüdischem Namen Schaul (Saulus) hieß.
Die Bezeichnung eines Menschen als "Priester" (vgl. Inschrift von Grab 3) oder "Levit" (hier kein Beispiel) kennzeichnet diese Person als Angehörigen von Familien, deren Vorfahren zur Zeit des Tempels (bis 70 n.d.Z.) als Priester und Leviten im Tempel Dienst taten. Bis zum Mittelalter führten die jüdischen Gemeinden Listen mit den Namen dieser Familien. Diese Listen gingen bei den schweren Judenverfolgungen im Zusammenhang mit den Kreuzzügen verloren. Trotzdem ist von Generation zu Generation in den Familien das Wissen um die Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen bewahrt worden. Diese Priester, also eine Art "Geburtsadel", haben bestimmte Funktionen; z.B. sprechen sie an hohen Festen den sog. aaronitischen Segen (4. Mose 6,24—26). Die Darstellung segnender Hände auf einem Grabstein zeigt an, daß dort ein Mann aus dem Priestergeschlecht begraben ist. Auch ist diese Herkunft bis heute an manchen Familiennamen zu erkennen. "Priester" heißt hebräisch "Kohen": So kann man davon ausgehen, daß alle, die einen von diesem Begriff abgeleiteten Familiennamen tragen (Kohn, Kahn, Kahane, Kohnstamm etc., aber auch "Katz", vgl. Inschrift von Grab 3), aus dem Priestergeschlecht stammen. Dazu gehören aber auch viele andere, aus deren bürgerlichem Namen diese Herkunft nicht mehr abzuleiten ist.
Im folgenden werden sämtliche Inschriften, soweit sie noch lesbar sind, aufgeführt. Links neben dem hebräischen Text steht jeweils die deutsche Übersetzung, darunter, soweit vorhanden, die deutsche Inschrift. Knappe Erläuterungen machen den religiösen Hintergrund der Inschriften deutlich.
Adalbert Böning