Mittwoch, 10. November 2021

Einweihung einer Gedenktafel an Felix-Fechenbach und seine Familie in Detmold

 

Der jüdische Journalist und Sozialist Felix Fechenbach lebte mit seiner Frau Irma und seinen drei Kindern von 1931-1933 in der Detmolder Oesterhausstraße. In Anwesenheit seiner Enkel Kathie und Balz Wiederkehr wurde jetzt eine Gedenktafel auf Initiative der heutigen Eigentümer an dem ehemaligen Wohnhaus der Familie eingeweiht.

Gedenktafel an Felix-Fechenbach und seine Familie in Detmold

 

Balz Wiederkehr und Bärbel SunderbrinkIm Rahmen einer kleinen Feierstunde fasste Detmolds Stadtarchivarin Dr. Bärbel Sunderbrink zunächst Fechenbachs beruflichen und politischen Werdegang zusammen und beschrieb warum Fechenbach schon früh zu einer Hassfigur für die Nazis wurde und zu einem der ersten Opfer nach der Machtergreifung 1933. Dr. Dennis Maelzer, Vorsitzender der Felix-Fechenbach-Stiftung und SPD-Landtagsabgeordneter betonte in einem Grußwort seine vorbildliche aufrechte politische Haltung und seine Courage im Widerstand gegen das Naziregime.

Balz WiederkehrBalz Wiederkehr, Sohn von Lotti Fechenbach, setzte sich in einer eindrucksvollen und bewegenden Rede mit seinem Grossvater auseinander und stellte Fragen nach einer passenden Haltung zu dem heutigen Gedenken seiner Grosseltern.

(PSH)

 

  • Hier die Rede von Balz Wiederkehr im Wortlaut

    Am 15 Juli 2021 erreicht mich eine völlig unerwartete Einladung:

     

    Dear members of the Fechenbach familiy!

    Liebe Angehörige der großen Familie Fechenbach!

     

    «...

    Wir, die Familie Henneken, kennen die Geschichte der Fechenbachs und sind sehr

    bewegt von dem Schicksal von Felix und dem Mut und der Stärke von Irma. Deshalb

    möchten wir die Spuren, die die Fechenbachs in diesem Haus hinterlassen haben,

    wieder sichtbar machen und ebenso einen Beitrag zur Erinnerung und zum Gedenken

    an ihr Leben und Schicksal leisten.

    Wir freuen uns daher Ihnen mitteilen zu können, dass wir planen, eine Gedenktafel für

    die Familie Fechenbach vor dem Haus in der Oesterhausstraße 6 in Detmold zu

    errichten.»

     

    Ich bin angeschrieben worden als Enkel von Irma und Felix Fechenbach Epstein. Die

    ‘grosse Familie‘ ist geschrumpft, einzig Hanni als jüngstes Kind lebt noch in den USA, Ihr

    Mann, wie auch die beiden andern Kinder und ihre jeweiligen Partner sind verstorben.

    Alle die sechs Enkel sind gealtert, sind längst älter wie damals Felix Fechenbach

    [28.1.1894 - 7.8.1931] war, als er im erwähnten Haus lebte. Die zwölf Urenkel sind in

    etwa dem Alter vom damals 37-jährigen Mann, der getötet wurde:

     

    «wie es die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift formulierte, 'aus Hass der

    Nationalsozialisten gegen ihn als Juden und politischen Gegner‘.»

     

    Wir Enkel und Urenkel lernten unseren Grossvater und Urgrossvater nie kennen, Was

    wir wissen haben wir aus Büchern erfahren, an Erzählungen habe ich keine

    Erinnerungen.

    Irma Fechenbach ist in unser Leben eingetreten, meine Erlebnisse sind sehr ambivalent.

     

    In welcher Zeit lebt denn die tatsächlich nicht mehr grosse Familie Fechenbach heute?

    Die Kenntnis von Mensch und Zeit in den seither drei Generationen geht verloren.

     

    Was für ein Mensch war Felix Fechenbach, der am 8.10.1929 am Detmolder Volksblatt

    seinen Arbeitsbeginn hatte. Zu selber Zeit noch riet er der Arbeiterjugend, 'sie sollten

    sich einen geistigen Führer wählen und diesem folgen und forderte sie auf, erst einmal

    mitzuarbeiten ehe sie kritisierten’ [nach Hermann Schueler: Auf der Flucht erschossen,

    1981].

     

    Was wissen wir von Felix Fechenbach?

    Was von seiner Familie?

    Seine zweite Ehe mit Irma Epstein, der Krankenschwester.und staatlich geprüften

    Wohlfahrtspflegerin, der Tochter von Rechtsanwalt und Justizrat Dr. Emil Epstein und

    dessen Frau Elsa geb. Hochstädter wurde am 26.9.1926 geschlossen.

     

    In Berlin kamen am 19.5.1927 Kurt und am 16.9.1928 Lotti, in Detmold am 11.1.1931 Hanni

    zur Welt.

    «Er erhoffte sich von einem neuen, frohen Geschlecht die Verwirklichung des

    Sozialismus. Er hat für eine glückliche Menschheit gekämpft und sein Leben hingegeben

    im Glauben an das Gute.»

    [Victor Walther]

     

    © Nachlass/Privatbesitz Lotti Fechenbach, Hanni F. Sherman

    Wer also wohnte im Hause an Oesterhausstraße 6 in Detmold?

    An wen erinnert die Gedenktafel vor dem Hause?

    Wer soll sich davon angesprochen fühlen und welche Impulse

    soll sie setzen?

     

    «Alltag im Exil zu dokumentieren, bedeutet für die Betroffenen,

    auch mit Erinnerungen konfrontiert zu werden, die schmerzlich

    sind, und es braucht Mut, sich diesen emotionalen Anforderungen

    zu stellen.»

    [aus: Ingrid Schäfer - Irma Fechenbach-Fey, 2003]

     

    Filmplakat, Fabian

    Ich sehe in dieser Zeit, als mich die Einladung nach Detmold

    erreicht, den Film 'Fabian oder der Gang vor die Hunde‘ von

    Dominik Graf. Beeindruckt von der Aktualität lese ich darauf Erich

    Kästners Roman - 'Fabian, die Geschichte eines Moralisten',

    Erstausgabe 1931.

    Eben diese Geschichte diente Dominik Graf heute, 90 Jahre

    später, als Vorlage.

     

     

     

    Buchtitel, Fabian

    1933 wurde Kästners Buch als entartet taxiert; Erich Kästner

    selbst war anwesend bei der Verbrennung seiner Bücher: Für die

    Erstausgabe zensurierte der Lektor Kästners Titel, er wurde jetzt

    erst von Graf im Original verwendet 'der Gang vor die Hunde'.

     

    Im Vorwort zur Ausgabe von 1956 schreibt Kästner 25 Jahre

    später:

    «Alte Mächte sind am Werk wiederum standardisierte

    Meinungen durch Massenimpfung zu verbreiten.» —

     

    Welch merkwürdiger Doppelsinn verbindet sich gerade heute mit

    diesem Zitat und welche 'standardisierten Meinungen’ könnten

    denn schon damals gemeint sein?

     

    Buchtitel, Fabian

    Er schreibt von verstaatlichten Geschmacksurteilen und, ich

    zitiere:

    «Noch wissen viele nicht, viele nicht mehr, dass man sich

    Urteile selber bilden kann und sollte. Soweit sie sich darum

    bemühen, wissen sie nicht, wie man’s anfängt.»

     

    Ändern sollten wir uns alle, doch es sollten immer zuerst die

    andern damit beginnen.

     

    In seinem ‘Fabian’ wollte er warnen: «die Sturmzeichen der

    nahenden Krise fehlten nicht, die unheimliche Stille vor dem

    Sturm, die einer epidemischen Lähmung gleichende Trägheit

    der Herzen.»

     

    «Er wollte vor dem Abgrund warnen, dem sich Deutschland und damit Europa

    näherten. Er wollte mit angemessenen, und das konnte in diesem Falle nur bedeuten,

    mit allen Mitteln in letzter Minute Gehör und Besinnung erzwingen.»

     

    Kästner hält seiner Epoche einen Zerrspiegel vor:

    «Der angestammte Platz des Moralisten ist und bleibt der verlorene Posten. Ihn füllt er,

    so gut er kann, aus. Sein Wahlspruch hiess immer und heisst auch jetzt: Dennoch!»

     

    War Felix Fechenbach also ein Moralist?

     

    Daumier Progrès

    Diese Frage beschäftigt mich immer wieder und ich überprüfe

    sie auch an einer weiteren Aussage von Kästner, wie er im

    ‘Fabian’ den Journalismus charakterisiert:

     

    «Was wir hinzudichten ist nicht so schlimm wie das, was wir

    weglassen.»

     

    Was also lassen wir in der Lebensbeschreibung von Felix

    Fechenbach weg?

    Ist er für seine Überzeugung eingetreten mit dem privaten

    Preis, sich und seine Familie damit zu opfern? Wie hat er die

    Verantwortung für Frau und Kinder gewichtet?

    Er ist als Jude, Pazifist und Sozialist verfolgt worden. Praktizierender Jude war er nicht.

     

    Und noch einmal zitiere ich Kästner, er sagt:

    «Wer für die andern da sein will, der muss sich selber fremd bleiben.»

     

    Gilt dies auch für Felix Fechenbach, wie distanziert reflektierte er sein Einstehen für das

    politische Ideal?

     

    Kritik an Entscheidungen meines Grossvaters sind mir fern, gross ist meine

    Bewunderung für dessen Mut.

    Doch in ihrer Würdigung erwähnen sie auch den Mut und die Stärke von Irma

    Fechenbach.

    Wenn wir heute der beiden Menschen gedenken und ihnen eine Tafel widmen, sie am

    Hause anbringen, wo sie zwei Jahre gelebt haben, müssen wir doch ihr Leben während

    dieser Zeit ebenso mutig befragen.

     

    Gedenktafel wozu?

     

    Hermann Schüler charakterisiert Felix Fechenbach's Lebensmotive:

    - sozialer Humanist

    - 'Überzeugungstreue' [S. 190]

    - Pazifist

    - legitimiert, die Herrschaftsverhältnisse umzustürzen

    - widersetzt sich der Rückkehr der alten Kräfte

    - arbeitet mit journalistischen Mitteln

    - oberste Erfordernis ist ihm die Einheit der Arbeiterbewegung

    - wichtig ist eine funktionierende Demokratie

    - Ablehnung des Kommunismus

    - eine eminent politische Begabung

    - überlegene Einsicht in die Entstehung des Nationalsozialismus

    - Nationalsozialismus in Steigbügelhalterrolle für den Kapitalismus

    - erkennt die Unmenschlichkeit der Nazis und wird zugleich eines seiner ersten Opfer

    - Demokratie und Republik sind seine politischen Werte, sogar Sozialismus muss zweitrangig bleiben

    - kannte die Gefahren des Antisemitismus, empfand die jüdische Geschichte seiner unterdrückten Vorfahren

    - die Integration der jüdischen Bevölkerung war ihm selbstverständliche Voraussetzung

    - Charaktereigenschaften:

    - Ehrlichkeit in den persönlichen Beziehungen

    - Hilfsbereitschaft

    - Zartgefühl

    - Milde

    - im politischen Kampf setzte er sich für die Verwirklichung höchster sittlicher Ziele ein

     

    [Ein Leben aus einem Guss, S. 249 - 251]

     

    MUT?

     

    «Wir müssen Freiheit und wenn es sein muss das Leben für diese bürgerliche Republik

    einsetzen. Das ist meine feste Überzeugung. Und nach ihr habe ich gehandelt.»

     

    [im Gefängnis Stadelheim, 1922 ; H.Schüler S. 178]

     

    «Es geht jetzt um den Bestand oder den Untergang des deutschen Volkes. Es fehlt an

    brauchbaren fähigen Leuten, die am Neuaufbau mithelfen. Jeder, der sich dazu fähig

    fühlt, muss seine Kraft zur Verfügung stellen. Versuche doch zu begreifen, welch hohe

    sittliche Idee mich leitet.»

    [Brief Felix Fechenbach an seine Verlobte Martha Czernichowski, 1918; H. Schüler S. 60]

     

    GEDENK - 'TAFEL'

    Wer trifft sich denn an dieser Tafel?

    Wessen Gedenken ist es denn?

    Was verbindet denn die sich hier Getroffenen?

     

    Ich habe die Biografien zu diesem Anlass erneut gelesen von Irma Epstein-Fechenbach

    (Ingrid Schäfer) und Felix Fechenbach (Hermann Schüler).

     

    Welche Themen sind es, die da je einzeln auftauchen, welche, die sie beide verbinden?

    Welche Verantwortungen haben sie geteilt?

    Welche Wertungen haben sie gleich hoch gehalten?

    Welche Bedeutung hatte die Familie, die gemeinsamen Kinder, welche die politische

    Überzeugung?

    Zu was fühlten sie sich verpflichtet?

    Welche Kontinuität war ihnen wichtig?

    Welche Abwägungen hatten sie getroffen? Hatten sie solche Gedanken überhaupt

    erwogen?

     

    Buchtitel, B. Schlink: 20. Juli

    Zu selber Zeit wie Grafs Film erscheint Bernhard Schlinks erstes

    Theaterstück, ein Gedankenspiel zum Tyrannenmord.

    Bernhard Schlink: ’20. Juli. Ein Zeitstück'.

     

    Die fünf Abiturienten und Abiturientinnen haben sich geschworen,

    keine 'kleinen Brötchen zu backen’, im Leben 'muss mehr drin sein

    als Studium und Beruf und Familie‘, es muss etwas geben, 'wofür

    sich lohnt, aufs Ganze zu gehen‘.

    «Wir wollen was bewirken.»

     

    Und wieder taucht ein Fabian auf, der Journalist werden will.

     

    Eingangsfrage:

    Gibt es Verhältnisse, die Gewalt legitimieren?

    Ist es erlaubt, jemanden zu töten, wenn man damit das Leben anderer retten kann?

     

    Umgeschrieben:

    Gibt es Verhältnisse, die es legitimieren, sich Gewalt antun zu lassen?

    Ist es erlaubt, sich töten zu lassen, wenn man damit das Leben anderer retten kann?

     

    «Die Frage ist, ob der Umstand, dass jemand mit dem Leben bezahlt, den Wert dessen

    beweist, wofür er mit dem Leben bezahlt.»

     

    «Es geht beim Opfer des Lebens nicht um einen Beweis, eher um eine Beglaubigung.

    Die Beglaubigung, dass der aufrechte Gang, die moralische Integrität, die menschliche

    Würde wichtiger sind als alles andere.»

     

    «Es geht zuerst um den Verstand, dann um das Gewissen, dann um die Angst. Nur

    wenn der Verstand sagt, dass es sein muss, kann das Gewissen es ertragen und der Mut

    die Angst überwinden.»

     

    Lassen sich Täter und Opfer vertauschen? -> Felix Fechenbach [aufs Ganze zu gehen?]

    «Es geht immer um die Aufgabe und die Person und die richtige Person für die richtige

    Aufgabe.»

     

    Stimmt es, dass «nach ein paar Jahrzehnten Demokratie wieder ein paar autoritäre

    Jahrzehnte dran sind?»

     

    Ist die Forderung heute «aufrichtiger und verbindlicher» zu sein?

    «Nicht nur zuhören und zusehen und reden, sondern sich entscheiden und handeln.»

    «Entscheidungen schaffen Abstand. Zwischen dem Denken und dem Handeln. Wenn

    du entscheidest, ist mit dem Denken Schluss und fängt mit dem Handeln was Neues

    an.»

     

    - Überlassen wir die Veränderungen den andern, den Mächtigen, den Reichen, den

      Gierigen?

    - Leben wir, als hätten die Dinge von selbst Bestand, die Institutionen, das Recht, die

      Freiheit?

    - Es geht doch nicht darum, was gestern versäumt worden ist, sondern was es heute zu

      machen gilt.

    - «Wir müssen doch die Welt machen, in der wir unseren Platz finden können.»

    - Müssen wir stark und böse werden, um nicht mit unserer Feigheit zu leben?

     

    Was wird einmal auf unserer 'Gedenktafel' stehen?

    Mit welchem Lebensmut sind wir den Fragen, die uns das Leben gestellt hat, begegnet?

    Was erwarte ich vom Leben? Und was erwartet das Leben von mir?

    Erfülle ich meine eigenen Erwartungen oder die von anderen?

     

    «Was erwarte ich von meiner Lebenserwartung? »

    « Viktor Frankl - der österreichische Neurologe und Psychiater, der Begründer der

    Logotherapie und Existenzanalyse, der seine Erlebnisse und Erfahrungen in vier

    verschiedenen Konzentrationslagern, darunter Auschwitz, in seinem Buch '... trotzdem

    Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager' schildert - hat das

    Wort ‘Verantwortung’ immer an die Fragen geknüpft, die uns das Leben stellt. Und wir

    geben mit unserem Tun die Antwort darauf, auch mit unserem Lassen. »

    [Eckart von Hirschhausen]

     

    Wir sind aufgefordert diejenigen Fragen an uns zu stellen, deren Antworten in den

    Entscheidungen, die wir treffen, unsere Verantwortung, die wir bereit sind zu

    übernehmen, zeigt.

     

    Mit diesen Fragen an mich und an uns alle bedanke ich mich ganz herzlich für die

    grossherzige Einladung zu dieser 'Besuchswoche’. Keine Begegnungen sind Zufall,

    so verstehe ich dieses Gedenken als mutvolles Aufeinander-Zugehen. Ich freue

    mich Teil davon sein zu dürfen.

     

    Rede von Balz Wiederkehr am 10. 11. 2021 in der Oesterhausstrasse, Detmold

Unterstützt wurde das Projekt von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Lippe e.V., der Felix-Fechenbach-Stiftung und der Stadt Detmold.

Weitere Informationen zu Felix Fechenbach und seiner Familie finden sich hier: Gedenkbuches für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Detmold

Hinweis: Im Büro der Gesellschaft kann ein digitalisierter Videomitschnitt (ca. 30 Min) einer Dokumentation über Felix Fechenbach der WDR Lokalredaktion Bielefeld aus dem Jahre 1991 nach Terminabsprache eingesehen werden.